Chile und Argentinien Mitte – Im Zick-Zack durch das Seengebiet

22.03.2017

In Puerto Montt hat uns schlussendlich doch noch der Regen eingeholt. Während fast fünf Tagen regnet es fast ununterbrochen mit einer Intensität, als wäre gerade die Sintflut ausgebrochen. Für uns bot dies eine fast schon fast willkommene Gelegenheit, so richtig auszuspannen und für einmal nichts zu tun. Umso mehr, als dass wir und bei den Airbnb-Gastgebern Patricia und José fast wie zu Hause fühlten. So wurden wir schon am ersten Tag von Patricia herzlich empfangen mit einem gedeckten Tisch mit Kaffee, mit Sopaipillas (dies sind fritierte Teigtaschen, eine chilenische Spezilität) und selbstgemachter, feiner Pflaumenmarmalade.Am nächsten Tag laden Patricia und José uns in ein Restaurant von Freunden ein, um Curanto zu essen. Dies ist ein Eintopf mit riesigen Muscheln, Speck und Wurst garniert mit deftigen Griess- und Schweinefettnocken. Diese Spezialität von Puerto Montt hat uns kulinarisch zwar nicht restlos begeistert, aber der Tag war dafür sehr unterhaltsam. Umso mehr haben wir köstliche „Kuchen“ genossen, der in zahlreichen Patisserien in Puerto Montt wie auch Puerto Varas erhältlich waren. In dieses Gebiet haben sich nämlich besonders viele Deutsche und auch Schweizer angesiedelt und unter anderem die Tradition der Kuchen, wie sie auch hier genannt werden, mitgebracht.

Curanto – die Spezialität von Puerto Montt
Feine Kuchen
Mit Patricia

Eine Nacht wurden wir plötzlich durch laut heulende Sirenen und blaues Licht geweckt. Als wir aus dem Fenster schauen sehen wir ein Feuerauto nach dem anderen vorbeifahren und wenig entfernt von unserem Haus stehen bleiben. Daneben kommen immer mehr zivile Autos angerast, aus denen Feuerwehrmänner in Vollmontur springen. In etwa 200 Meter Entfernung sahen wir dann aus einem anderen Fenster hohe Flammen lodern. Bereit im Notfall, dass sich das Feuer ausbreiten sollte, schnell alles zu packen schauen wir angespannt zu, aber nach einer Weile schien der Flammenherd kleiner zu werden. Am nächsten Morgen erfahren wir, dass vier Häuser in einer Reihe verbrannt waren und dabei eine Frau und drei Kinder gestorben sind, das war sehr traurig. Auch in Puerto Montt erreicht uns ein Päckli mit Ersatzteilen für unser Primus-Kocher, der seit Ushuaia kaputt war. Nun ist er wieder voll einsatztauglich! Weiter machen wir eine Planung der Route durch die Seenregion: nicht die schnellste aber dafür die schönste Strecke auf möglichst einsamen Strassen abseits vom touristischen Rummel soll es sein. Um es gleich vorwegzunehmen: diese Region war für uns ein weiterer grandioser Höhepunkt unserer Reise und wir waren durchaus positiv überrascht von den vielen landschaftlichen Leckerbissen. Immer wieder sorgte ein plötzlich auftauchender schneebedeckter Vulkan, ein See oder ein wilder Wald voller Araucarias für ein Wow-Erlebnis. Aber Fotos sagen bekanntlich mehr als 1000 Worte, auch wenn sich die Schönheit meist in Fotos nur teilweise wiedergeben lässt.

Am Fjord
Vulkan Osorno
Araukarien-Wald: diese Bäume sind einheimisch hier

Aber nun noch einmal von Anfang an. Zwar mit einem noch etwas bewölkten Himmel aber ohne Regen nehmen wir schliesslich Abschied von Patricia und fahren zuerst wieder einige Kilometer zurück auf der Carretera Austral, von wo wir einem Fjord entlang Richtung Nordosten fahren.

Dem Fjord entlang

Schon fast gewohnt holprig geht es auf ungeteerter Strasse hoch und runter, bis wir neben einer Lachszucht am Abend das Zelt aufschlagen. Grosse Lachse, die den Rio Puelo vom Meer her hochschwammen liessen am nächsten Tag Joseps Augen leuchten. Leider schienen die Tiere nicht hungrig zu sein oder zumindest biss zu seiner Enttäuschung keines davon seinen Köder. Auch die nächsten Tage gab es kein Petri Heil – hier weiter im Norden scheint das Fischen schwieriger.

So gross sind die Königslache – diese Exemplar hat jedoch ein anderer Fischer gefangen

Der Osorno war der erste von mehreren über 3000 Meter hohen, schnee- und gletscherbedeckten Vulkanen, die wir bestaunen durften. Immer näher fahren wir auf den imposanten, weissen Riesen zu und umrunden ihn fast.

Dem Vulkan Osorno entgegen

Auf dem Weg nach Entre Lagos befahren wir wieder einmal eine asphaltierte, gerade verlaufende Strasse ohne ein ständiges Auf und Ab und die erreichten Geschwindigkeiten von zwanzig bis dreissig Kilometern pro Stunde erschien uns fast wie fliegen! Dies hatte ein jähes Ende mit dem Aufstieg zum Paso Antonio Samoré, über den wir nach Argentinien gelangen wollten. Über tausend Höhenmeter waren zu bewältigen und damit ist dies einer der höchsten Pässe bisher. Der Aufstieg war jedoch angenehm und viel Wald spendete uns willkommenen Schatten. Den Pass erreichten wir fast zeitgleich mit einem Paar von argentinischen Velofahrern und plaudern eine Weile mit ihnen bevor wir die rasante Abfahrt in Angriff nehmen.Bereits zum dritten Mal reisten wir nun nach Argentinien ein und fanden einen super Zeltplatz an einem See fast direkt hinter dem Zoll. Die halbe Oberfläche des Sees war bedeckt mit schwimmenden vulkanischen Steinen, die von einem Vulkanausbruch vor drei Jahren herrührten – beeindruckend!

Auf dem Pass
Zeltplatz am See nach der argentinischen Grenze

Villa La Angostura scheint so etwas wie das St. Moritz von Argentinien zu sein: ein schickes Boutiquehotel reiht sich ans nächste. Zum Glück finden wir ein einfacheres Hostal, das eher in unserer Preisklasse lag und belegen zwei einfache Betten in einem Vierbettzimmer zusammen mit einem anderen Paar- was wir später noch bereuen sollten… Das Unheil kündigte sich an, als wir um Mitternacht in das Zimmer kamen und der Mann bereits in lautesten Tönen schnarchte und die Frau sich bei uns dafür bei uns entschuldigte. Ich schlief auf dem Kajütenbett direkt über ihm und habe die ganze Nacht kein Auge zugetan – trotz Ohropax! So schüttelte das ganze Kajütenbett. im Takt zu seinem archaischen Schnarchgeräuschen in einer von mir noch nie gehörten Intensität. Schleunigst packten wir nach dem Frühstück unsere Sachen, setzen uns müde aufs Velo und nehmen die bekannte „Ruta de los siete Lagos“ in Angriff. Während wir von einem wunderschönen See zum nächsten fahren, schwören wir uns, nie mehr ein Bett im Mehrbettzimmer zu belegen und freuen uns auf die nächste RUHIGE Zeltnacht. Diese kriegen wir: direkt neben einer idyllischen Lagune finden wir einen perfekten Zeltplatz.

Einer der Seen auf der “Ruta de los siete Lagos”
Mittagspause am See

San Martin de los Andes erreichen wir am nächsten Tag: ein sehr touristischer Ort in englischem Baustil. Von dort nehmen wir den Pass Carrine in Angriff, der uns zurück nach Chile bringen soll. Die Landschaft begeistert uns auch hier von Neuem: Seen, Entlang von Flüssen und Seen führte uns den Weg bis an den Rand der Pampa, um dann schleunigst wieder ins grüne, waldige Hochland zu gelangen.

Auf dem Weg zum Paso Carrine
Was die Bären im Norden sind hier die Pumas- Anleitung, was im Falle eines Zusammentreffens zu tun wäre. Wir haben bisher (zum Glück?) noch keinen gesehen.

Zurück in Chile (das vierte Mal!) wurden wir akribisch gefilzt am Zoll: ausnahmslos alle unsere insgesamt 10 Taschen wurden geöffnet und nach verbotenen Lebensmitteln von pflanzlicher oder tierischer Herkunft durchsucht. Ein kleines Stück Käse sowie drei Säcke feiner Rosinen und Cranberrys dürfen wir nicht einführen. Wir essen was wir können davon und finden eine Kilometer weiter unten ein natürliches Thermalbad, wo wir unser Zelt aufschlagen. Im warmen Wasser entspannen wir unsere Muskeln, denn schon wartete der nächste Pass auf uns! Dieser führte uns in quer durch den Villarrica-Nationalpark, der unter anderem mit die in der Region berühmten, einheimischen Bäume Araukarien bewachsen sind. Der Weg ist furchtbar steil, mehrere Passagen waren wohl über 20 Grad! Wir übernachten auf einer Kuhweide auf halber Stecke und setzen den Aufstieg – wieder sehr steil – fort.

Durch den Wald

Auf dem Pass oben angekommen, entscheiden wir noch einige Höhenmeter daraufzusetzen bis zum Gletscher des Vilkans Villarrica… Beim Parkeingang informieren sie uns, dass dies mit dem Velo möglich sei, so lassen wir unsere Sacchoschen unten und fahren los. Allerdings kommen wir nicht weit: immer wieder müssen wir das Velo stossen um  Wurzeln, Baumstämme, grosse Steine oder zu steile Passagen zu überwinden. Es war eher ein krasser Single-Trailweg… Irgendwo liessen wir die Velos zurück. Die Aussicht war richtig atemberaubend und dies mit einem völlig wolkenlosen Himmel!

Durch den Araucaria-Wald…
… über Stock…

... und Stein auf dem Weg zum Vulkan

..bis Josep endlich auf dem Gletschereis rumklettern konnte

Für die nächsten Tage war jedoch wieder viel Regen angesagt, weswegen wir unsere Route ein wenig änderten und uns vorerst im Hotel Torre Suiza in Villarrica niederliessen. Dieses Hostel wurde vor Jahren von zwei Weltradlern aus Basel gegründet, die hier hängen geblieben waren. Heute sind die Besitzer Chilenen. Hier treffen wir den sympathischen Schreiner Steven aus Zürich, der seine mehrmonatige Reise mit dem Velo etwa zwei Wochen früher in Puerto Montt gestartet hatte. Zudem treffen wir zu unserer Freude die beiden Holländer Pim und Ellen wieder, die wir auf der Carretera Austral kennengelernt haben.

Mit Steven, Tim und Ellen im Hostel Torre Suiza

Wir warten einige Tage in Villarrica, bis der Regen vorbei war. Dann war über eine Woche nur strahlende Sonne gemeldet, perfekte Aussichten! Wir entscheiden uns für eine eigentlich für Bikepackers vorgeschlagenen Route mit leichterem Gepäck und tendentiell breiteren Reifen: der Monkey Puzzle Trail. Noch einmal möchten wir sattes Grün, Wälder, Flüsse und Vulkane geniessen, bevor es dann Richtung Norden geht. Unsere Erwartungen wurden übertroffen, wenn es auch teilweise sehr hart und langsam war. Insbesondere der Aufstieg auf vulkanischer Erde/Sand entlang der Flanke des Vulkans Longimay war besonders schön! Oben bot sich ein Rundumblick auf mindestens fünf hohe Vulkane und auf den Krater und die grosse Lavazunge des Ausbruchs von 1988 in einem Nebenkraters.

Aufstieg Vulkan Lonquimay
Auf der Passhöhe
Gift-grüner See

Nach der Passhöhe verschlechterte sich der Weg zusehends… Lange dauert es, bis wir unten sind und mit den letzten Lichtstrahlen des Tages im winzigen Dorf Lolco bei einem Bauern um Erlaubnis fragen, auf seinem Land zu campieren. Klar wurde uns dies ohne Probleme gewährt, wie auch schon andere Male. Mit all dem eingezäunten, privaten Land ist es auch hier mitunter schwierig, anderweitig einen schönen Platz zu finden.

Ab und zu war eine Pfütze auf dem Weg zu überwinden; hier kündigt sich langsam der Herbst an
Hirsch – diese haben wir rühren gehört. Allerdings sind sie nicht wild sondern gehören einem “Gringo”, wie wir informiert wurden.
Bunte Eidechse

Auch die nächsten zwei Tage kämpften wir uns über teilweise schmale und mit grossen Steinen versetzten Wege mühsam voran. Beim nächsten Pass verfluchen wir langsam schon die Routenwahl, denn wir müssen mehr als die Hälfte der 500 Höhenmeter zu Fuss stossend zurücklegen, da an Fahren nicht zu denken war. Hier treffen wir ausser einem netten Mapuche-Gaucho auf dem Pferd niemanden mehr. Die Mapuche sind die indigene Bevölkerung, die insbesondere in diesem Gebiet viele Dörfer und Siedlungen haben.

Begegnung auf dem Weg mit einem Mapuche-Gaucho
Der Weg wurde zunehmend schlechter
Hier war an Fahren definitiv nicht mehr zu denken

Nach nur gerade 40 Kilometern Tagesdistanz waren wir fast müde wie nie als wir schliesslich in Chequenco ankommen. Obwohl dieses Dorf in fast keiner Karte auftaucht, finden wir hier einen gut bestückten Dorfladen um unsere Vorräte aufzufüllen. Der Laden bietet so was wie das Begegnungszentrum des Dorfes und wer immer reinkommt tauscht Neuigkeiten mit den netten Besitzern aus. Eine 39-jährige Frau, die bereits eine 18-jährige Tochter hat, ist gerade wieder schwanger. Eine alte Mapuche-Frau hat ihr Tal kaum einmal verlassen und war noch nie in Santiago de Chile geschweige denn im Ausland. Und ein Mapuche-Gaucho mit breitem Hut und schönen, Überhosen aus Schaffell kauft Futter für seinen Hund, während sein Pferd draussen auf der Strasse angebunden wartet. Am nächsten Tag erreichen wir eine Therme, bei der man auch gleich zelten kann und entschliessen, hier zu bleiben. Leider war es wenig entspannend, da es gerade Wochenende war und damit ziemlich voll mit Leuten. Die Chilenen campieren nämlich gerne und dies wird begleitet mit grossen Barbecues (Asados) und lauter Musik bis in die frühen Morgenstunden… Von unseren Nachbarn, vier Arbeitskollegen aus der Holzindustrie, wurden wir zu einigen Biers eingeladen. Als wir nach Mitternacht in unsere Schlafsäcke schlüpfen schlafen wir sehr gut trotz Reaggeton-Musik und laut singende Nachbarn. Noch trennte uns nun ein Tag nach Santa Barbara, von wo wir den Bus nach Santago de Chile nehmen wollten. Als wir nach sieben Tagen endlich mal wieder den Asphalt erreichen und eine rasante Abfahrt genossen, Plötzlich dreht jedoch Joseps Rad durch. Konsterniert stellt er fest, dass wieder die Hinternabe kaputt war und an Weiterfahren nicht zu denken war. Zum Glück konnten wir nur gerade eine halbe Stunde später ein Bus nehmen nach Los Angeles, von wo wir einen Nachtbus ergatterten nach Santiago. Mit umgerechnet 15 Franken Schmiergeld war der Chauffeur denn auch bereit, unsere Velos mitzunehmen. Während unserer Reise durch den Süden haben wir stets nur gehört wie hässlich Santiago sei und dass sich ein Besuch sicher nicht lohnen würde. Dort finde man nur purer Beton und zudem sei es gefährlich dort. Grund genug, dass wir uns ein eigens Bild machen! Und wir sind durchaus positiv überrascht: ja es ist natürlich eine Grossstadt mit viel Beton – aber als so hässlich wie die Stadt uns immer beschrieben wurde empfinden wir es definitiv nicht! Im Gegenteil finden wir, dass Santiago durchaus seinen Charme hat. Beeindruckt sind wir insbesondere auch von den vielen Fahrradwegen in der Stadt und der grossen Menge an Personen, die hier auf zwei Rädern unterwegs sind! Wir nutzen die paar Tage hier insbesondere dafür, Joseps Rad flicken zu lassen und verschiedene Ersatzteile fürs Velo und für unser Zelt zu besorgen. Da hat sich nämlich doch einiges angesammelt und hier ist das letzte grosse Zentrum bevor wir dann nach Bolivien, Peru und Ecuador weiterziehen.

Food Trend in Santiago: Stängel- Glacen in allen Farben
Unser Lieblings-Velomech dieser Reise: Jaime Cardenas (links) mit seinem Team haben in einer Top-Arbeit Joseps Hinternabe ausgewechselt und somit das Rad neu eingespeist für umgerechnet gerade mal 10 Franken

 

 

2 Comments on “Chile und Argentinien Mitte – Im Zick-Zack durch das Seengebiet

  1. Hallo ihr zwei und sonnige Grüße aus Hamburg!
    Wie schön zu lesen, dass es euch gut und geht und ihr den Weg durch das Seengebiet genossen habt. Die Bilder sprechen für sich!! Wo seid ihr denn jetzt gerade?
    Nico ist momentan noch in Bolivien unterwegs und fährt von dort aus über Peru nach Ecuador, wo ich ihn schließlich wieder treffen werden. Vielleicht kreuzen sich unsere Wege ja noch einmal, das wäre wirklich der Wahnsinn!
    Gutes Durchhalten und bis zum nächsten Mal,
    Besos, Jasmin

  2. Liebe Christina und lieber Josep
    Herzlichen Dank, dass ihr uns an euren Erlebnissen und Eindrücken sprachlich und fotografisch teilnehmen lässt. Puerto Montt ist auch für mich mit sehr tollen Erinnerungen verbunden (ein erfolgreiches FAO Entwicklungsprojekt).
    Nach euren Beschreibungen könnte die Reise ja noch ewig dauern! Ich wünsche euch weiterhin viel Glück und alles Gute.
    Nur zur Information: Für 2018 habe ich Dich Christina vorsorglich für Weiterbildungskurse angemeldet?!
    Liebe Grüsse Manfred

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