Patagonien I – Puerto Natales bis El Chaltén

20.1.2016

Nachdem wir für einige Tage Vorräte eingekauft hatten verliessen wir Puerto Natales erst am frühen Nachmittag in Richtung Nationalpark Torres del Paine. Der Asphalt hörte bald auf und wich einer Anfangs noch ziemlich flachen, dann aber immer holpriger werdenden Schotterpiste. Auf einer Kuhweide fanden wir hinter einigen Büschen Windschutz für die Nacht für unser Zelt.

Reinschleichen in die Kuhweide, wo wir zelten
Erste schöne Aussichten von Weitem auf die Torres mit Adlern im Vordergrund

Beim Parkeingang campen wir auf einem Luxus-Zeltplatz: teuer aber wunderschön haben wir einen Campingplatz direkt am Fluss, zudem eine kleine hölzerne Hütte mit einem Tisch. Der Fluss ist einer der besten Plätze zum Lachse fischen wie wir gehört haben. Die Campingplatzwächter warnen uns jedoch, dass Fischen ohne Lizenz mit hohen Strafen gebüsst wird und drei verschiedenen Instanzen hier kontrollieren. Die Fischerlizenz kann ausschliesslich im Büro der Fischereibehörde in Punta Arenas und Puerto Natales erworben werden und dieses ist jeweils nur gerade ca. drei Stunden pro Tag geöffnet, wenn überhaupt. So waren wir denn auch nicht erfolgreich, eine solche Lizenz zu erwerben im Vorfeld. Nach sieben Uhr am Abend sei es jedoch unwahrscheinlich, dass es Kontrollen geben würde und er solle doch einfach im Areal des Campingplatzes fischen, so könnten sie ihn warnen falls die Polizei komme, fügte der Wächter hinzu. So warf Josep seine Angelrute raus, bis sich ihm nach ca. einer halben Stunde plötzlich der Wächter näherte in einem kleinen Wagen und dahinter folgte mit einigem Abstand ein Polizeiauto. Im letzten Moment gelang es ihm noch, seine Rute zu verstecken – da hat er nochmals Glück gehabt! Am nächsten Morgen fuhren wir sehr früh in den Park und die ersten Sonnenstrahlen färbten die nun fast wolkenfreien Torres del Paine in den schönsten Rot- und Orangetönen. Das war ja schon vielversprechend! Den ganzen Tag verbrachten wir im Park und genossen die wunderschönen Berge  bei gutem Wetter auf dem Velo und zu Fuss während einer kleinen Wanderung.

Das Torres del Paine-Massiv am frühen Morgen
Eine traumhafte Aussicht

Beim Parkausgang wollten wir gerade unser Zelt an einem windgeschützten Ort aufstellen, als uns plötzlich eine Parkwächterin darauf hinweist, dass sich nur gerade drei Meter entfernt ein Puma eingenistet habe. Sie offeriert uns dafür, in einer kleinen Hütte zu übernachten, die sogar über Küche und Bad mit Dusche verfügt. Dort fühlten wir uns doch etwas sicherer! Nach dem Znacht sassen wir noch fast bis zwei Uhr in der Nacht mit den allesamt jungen Parkwächtern in der warmen Küche bei Wein und Tee und diskutierten über Gott und die Welt – ein sehr gemütlicher Abend! Von hier führte der Weg nun östlich wieder raus in relativ ödes Pampa-Land. Langweilig war es zumindest zu Beginn jedoch nicht, dafür sorgte die abwechslungsreiche Fauna. Zum Beispiel beobachteten wir Kondore, eine ganze Familie an Straussen (Nandu genannt hier) und riesige Herden an Guanacos.

Nandu-Familie
Gürteltier
Fahrt durch die Pampa mit bedrohlich schwarzem Himmel
Die Winde sind ein ständiger und unerbittlicher Begleiter

Der Wind half uns insbesondere in der zweiten Tageshälfte auf der argentinischen Seite und liess uns förmlich fliegen! So verpassen wir sogar den Moment der 10’000 gefahrenen Kilometer und schiessen das Erinnerungsfoto „erst“ bei 10’006 km. Gegen Abend gewährte uns Cristian, ein Strassenarbeiter, unser Zelt auf seinem Areal aufzustellen in einem kleinen Ort mit gerade mal drei Häusern: einer Tankstelle, eine Polizeistation und die staatliche Strassenreparaturstelle. Zu unserer Überraschung durften wir sogar die Dusche nützen und seine Küche nutzen. Cristian lädt und zu Kaffee und Cracker ein und kochte später sogar ein feines Znacht für uns!

Beim Znacht mit Cristian (oben am Tisch) und dem Polizisten (an dessen Namen wir uns nicht mehr erinnern)

Auch einer der Polizisten von nebenan stösst dazu, um den argentinischen Nationalsport „Jineteada“ im Fernsehen zu schauen. Dies ist eine Art Rodeo, bei dem sich die Gauchos dem Pferd kräftig die Sporen geben und es mit der Peitsche schlagen, damit es möglichst verrückte Sprünge macht. Sie halten sich dabei mit nur einer Hand fest und müssen ca. acht Sekunden auf dem Pferd bleiben ohne Abgeworfen zu werden. Die Polizisten hier arbeiteten nur gerade vier Tage und hat dann acht Tage frei und sie sind zu dritt obwohl es kaum Arbeit gibt, da es in einem Umkreis von ca. 100 Kilometern kein Dorf gibt. Zudem lernen wir, dass die Polizisten hierzulande nach nur gerade zwanzig Jahren pensioniert werden und eine relativ gute Rente kriegen; in seinem Fall bereits mit vierzig Jahren. Auch Cristian sitzt im Moment eigentlich nur rum, da die Strassenbaumaschine gerade in der Reparatur ist. Zusammen mit der grassierenden Korruption in den politischen Eliten wundert es uns langsam nicht mehr, dass Argentinien mit wirtschaftlichen Problemen und Inflation zu kämpfen hat. Natürlich wird es wiederum spät, bis wir nach einem wiederum sehr unterhaltsamen und spannenden Abend in unser Zelt kriechen. Am nächsten Morgen erwartete uns eine ziemlich schlechte Schotterpiste, die zu durchqueren uns die argentinischen Grenzwächter abgeraten hatten. Alternative wäre ein 70 Kilometer grosser Umweg und so widersetzten wir uns lieber allen Warnungen. Wie erwartet war es die schlechteste Schotterpiste, die wir je gefahren sind und wir hatten mit grossen Steinen, Schlaglöchern und ausgedehnten Waschbrettern zu kämpfen. Zum Glück blies uns jedoch der Wind immer noch in den Rücken und half uns, die sechzig Kilometer lange Strecke in einem Tag zu bewältigen. Auf dem Weg nach El Calafate dreht die Strasse und so blies der Wind am nächsten Morgen erbarmungslos direkt von vorne. In einer Stunde kommen wir gerade mal fünf Kilometer voran, und dies bei grösster Mühe und auf völlig flachem Terrain. Die 95 Kilometer durch zudem flache, unbewohntes und fast vegetationslose Pampa würde sich so fast endlos in die Weite ziehen – eine wenig reizvolle Aussicht. So halten wir kurzum am Strassenrand den Daumen in die Höhe, bis uns nach kurzer Zeit der Pösteler freundlicherweise mitnimmt bis El Calafate- eine sehr touristische kleine Stadt. Natürlich besuchen wir die touristische Hauptattraktion, den Perrito Moreno Gletscher. Dies ist fast der einzige Gletscher der Welt, der stabil ist und nicht langsam zurückgeht.

Perrito Moreno

Eigentlich hatten wir uns vorgenommen, bis El Chalten in zwei bis drei Tagen alles mit dem Fahrrad zu fahren. Als wir am zweiten Tag jedoch in fünf Stunden gerade mal 35 Kilometer vorangekommen sind gegen den Wind und dieser im Verlaufe des Tages noch immer stärker wurden und uns mehrere Male von der Strasse gefegt hatte, waren unsere guten Vorsätze dahin… So nimmt uns eine brasilianische Reisegruppe mit für die letzten fünfzig Kilometer. Schon von Weitem bewundern wir den eindrücklichen Gipfel des Fitz Roy. Es sollte das erste und einzige Mal bleiben, da er die nächsten Tage leider immer hinter dicken Wolken verborgen blieb.

Das Fitz Roy Massiv

In El Chalten logieren wir im Casa de Ciclistas und treffen dort wiederum verschiedene Radfahrer aus aller Welt. Darunter Sarah und Arthur aus Fribourg, die seit einigen Monaten bereits mit dem Fahrrad unterwegs sind (www.routelibre.ch). Oder Ross aus Alaska, der seit fast zwei Jahren praktisch ohne Geld reist. Statt wasserdichten Ortlieb-Sacoschen benützt er simple Farbeimer. Essen beschafft er sich aus den Abfällen von Supermarkts und Restaurant. Für einigen finanziellen Zustupf verkauft er jeweils einige Postkarten mit Fotos seiner Reise. Wir sind beeindruckt!

Ross Reid Vitale aus Alaska reist seit über einem Jahr fast komplett ohne Geld

Nach einem Ruhetag machten wir uns auf ein viertägiges Trekking auf: die „Vuelta de Huemul“. Nach etwas mehr als einer Stunde nachdem wir losgegangen sind, setzt Regen ein. So treffen wir klitschnass von oben bis unten und kalt beim ersten Camping ein, stellen unser Zelt im strömenden Regen auf und legen uns direkt in unseren warmen Schlafsack. Wir haben so kalt, dass wir nicht mal mehr etwas essen. Zum Glück scheint am nächsten morgen die Sonne und zusammen mit dem Wind ist alles ziemlich schnell trocken, so dass wir gegen Mittag weitergehen können. Zwei Gletscherzungen entlang steigen wir auf den Paso del Viento.

Auf dem Weg zum Paso del Viento

Von dort bestaunen wir die riesigen Eismassen von verschiedenen Gletschern, die zum „Campo de hielo sur“ gehören und hier zusammenfliessen. Das Campo de hielo sur umfasst eine Fläche von 13’000 km2 und ist ausserhalb der Antarktis das grösste Gletschergebiet der Südhalbkugel. Es ist wahnsinnig eindrücklich; der Aletschgletscher scheint winzig klein im Vergleich!

Die Gletschermassen des Campo de hielo sur
Noch mehr Gletscher

Als wir gegen Abend das Zelt aufschlagen, fallen gerade die ersten Schneeflocken. In einem kleinen Refugio können wir gemütlich im Warmen kochen. Weniger gemütlich wurde jedoch die Nacht, als plötzlich ein Sturm mit starken Winden und Schneeregen einsetzt und das Zelt richtiggehend durchschüttelt. Der Wind lässt das Zelt zeitweise völlig zusammenklappen, so dass wir bedeckt werden von der Zeltwand. Zudem regnet es rein, da das Aussenzelt kraftvoll gegen das Innenzelt gedrückt. Irgendwie schaffen wir es glücklicherweise warm zu bleiben, sind aber die halbe Nacht damit beschäftigt, das Zelt zu stützen von innen. Am Morgen sind zwei Zeltstangen verbogen; trotzdem hält sich der Schaden in Grenzen angesichts der Stärke des Sturms.

Aussicht auf den Viedma-See
Endlich am See angekommen!

Wiederum drückt tagsüber die warme Sonne durch und wunderbare Aussichten lassen uns die Horrornacht bald vergessen. Die letzte Nacht an einem grossen See, der voller Eisberge ist, die von einer der in den See verlaufenden Gletscherzunge abgebrochen sind, ist glücklicherweise sehr ruhig. Zurück in El Chalten gönnen wir uns für einmal ein Hotelzimmer, um uns erholen zu können und das Zelt wieder abzudichten und zu flicken.

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