Patagonien II – La Carretera Austral

16.02.2017

Um El Chalten nach Villa O’Higgins in Chile zu kommen, wo die berühmte Carretera Austral beginnt gibt es zwei Möglichkeiten: entweder eine Fahrt über mindestens 300 km durch die Pampa mit Gegenwind oder die eine Überquerung über die Berge, die unter anderem zwei Fährenfahrten und das Schieben des Velos über einen steilen, sechs Kilometer langen Wanderwegs einschliesst. Die Entscheidung war schnell gefallen zugunsten der zweiten Variante. Auf dem Weg zur ersten Fähre über den Lago Escondido beginnt es plötzlich in Strömen zu regnen. Während wir auf die Fähre warten, ist eine kleine Kapelle der einzige trockene Unterschlupf, den wir finden. Zusammen mit Jasmin und Nico, zwei deutschen Tourenfahrern, versuchen wir, unsere nassen Kleider einigermassen zu trocknen und uns wieder aufzuwärmen. Als wir nach einer um die dreistündigen Fährenfahrt ankommen, hört es gerade endlich auf zu regnen. Obwohl uns der argentinische Zöllner warnt, dass der Weg nach dem Regen sehr schlammig sei, finden wir irgendwie noch ein Fünkchen Motivation und entscheiden, noch den ersten Teil des Wanderwegs hochzusteigen. An Fahren war definitiv nicht zu denken. Schritt für Schritt stossen, stemmen und heben wir unsere Drahtesel inklusive Gepäck den schmalen, engen und teilweise tatsächlich ziemlich schlammigen Weg hoch. Teilweise alleine, teilweise zu zweit, ein Velo nach dem andern. Zudem gab es einige Bäche zu überqueren. Mit Geduld transportieren wir jeweils zuerst das Gepäck und dann die Velos separat über improvisierte Brücken. In zwei Stunden sind wir zwar nur gerade zwei Kilometer vorwärts gekommen, wir nehmen es jedoch locker und geniessen den Wald und die Aussichten.

Über Bäche…
… und schlammige Wege

Mitten im Wald schlagen wir das Zelt auf, kochen und essen und gerade rechtzeitig bevor es wieder beginnt zu regnen liegen wir schon müde im Schlafsack. Der zweite Teil des Wanderwegs war etwas flacher und so kommen wir am nächsten Morgen früh relativ gut voran und erreichen die Passhöhe und damit die Grenze zu Chile. Der Weg auf der chilenischen Seite war nun fahrbar und die Fähre über den Lago General Carrera inklusive Extrafahrt zum O’Higgins Gletscher um 11 Uhr am Morgen rechtzeitig. Davor galt es noch den chilenischen Zoll zu überqueren und bestimmt haben wir noch nie so gelacht bei einem Grenzübergang! Die Grenzbeamten in diesem ausschliesslich für Fussgänger überquerbaren Zoll waren sehr locker drauf und erzählten uns quasi einen Witz nach dem anderen. So waren die Strapazen des Weges schnell vergessen und wir entspannten uns in den bequemen Sitze der Fähre. Das Wetter spielt hervorragend mit und der grosse, in den Fjord verlaufende Gletscher ist  absolut spektakulär. Mit dem Boot fahren wir nahe zur fünfzig Meter hohen Wand und werden sogar Zeuge, wie Teile des Gletschers abbrechen. Es wird uns sogar ein Whisky mit einem Stück Gletscher als Eis serviert, das einige Mannen der Besatzung mit einem Gummiboot aus dem Wasser geholt hatten. Der Gletscher ist zwar etwas kleiner als der deutlich touristischere Perrito Moreno, das Gletschererlebnis insgesamt war für uns hier jedoch deutlich besser.

Gletscher O’Higgins

Ab Villa O’Higgins erstreckt sich die Carretera Austral über 1200 Kilometer und stellt so die einzige Verbindung Richtung Norden dar auf der chilenischen Seite. Die Strasse wurde 1976 von Diktator Augusto Pinochet in Auftrag gegeben, um in Zeiten von Auseinandersetzungen mit Argentinien eine eigene Nord-Südverbindung zu haben. Noch Heute sind mindestens zwei Drittel der Strasse ungeteert, dazu kommt ein ständiges „Rauf und Runter“ mit teilweise horrend steilen Passagen. Wir nehmen es deshalb gemütlich und geniessen die bergige, sehr grüne Landschaft sehr.

Nach VillaO’Higgins
Durch Wälder
Lago General Carrera: der grösste See Chiles
Blumen, Seen und Berge

Wir campen so viel wie möglich wild, da uns die chilenischen Campingplätze mit häufig dreckigen Duschen und unebenen Grasflächen, auf die sich ein Zelt neben das andere quetscht, nicht gefallen. Obwohl viele Stacheldrahtzäune die  abendliche Suche nach dem Zeltplatz erschweren, finden wir immer wieder herrliche Zeltplätze meist neben einem der unzähligen Seen oder Flüsse entlang des Weges (im Notfall lassen sich Fahrrad und Gepäck auch verbotenerweise über Stacheldrahtzäune und verschlossene Pforten hieven…).

Campen in blühendem Gras,
… direkt neben dem Fluss,
… und mit Sicht aufs Meer

Josep frönte dabei ausgiebig seiner Passion des Fischens. Anfangs noch wenig erfolgreich, konnte er seine Technik und Taktik mit der Zeit verbessern, insbesondere indem er sich mit mehreren einheimischen Fischern entlang des Weges angefreundet hatte. So wurden die Fänge etwas ergiebiger und wir genossen fast täglich ein bis zwei köstliche Forellen zum Znacht oder Morgenessen.

Warten auf den grossen Fang
Die gefangenen Forellen werden später auf dem Feuer gebraten

Nebst Fischen liessen wir es uns auch sonst kulinarisch gutgehen sobald wir die Möglichkeit dazu hatten. In einigen Hostals, in denen wir ab und zu unterkommen, gibt es gut eingerichtete Küchen und so essen wir selbst gemachtes Brot, Crêpes, Pizza, Ofen-Kartoffeln und Kuchen. Solche Köstlichkeiten lassen nämlich auf dem Camping-Kocher nämlich nicht gut zubereiten. Apropos Campingkocher: Seit unser Primus Benzinkocher in Ushuaia definitiv den Geist aufgegeben hatte, haben wir uns notgedrungen einen einfachen Alkoholkocher aus einer Redbull-Dose selbst gebastelt. Wir verbrennen 96%igen Alkohol aus der Apotheke und sind begeistert von der Futionalität und Zuverlässigkeit!

Unser neuer mit Alkohol betriebener Red Bull-Dosen-Kocher. Wir verwenden Teile des alten Kochers als Stütze.

Einige Tage fahren wir mit Pim und Ellen, zwei Holländer, die seit fünf Jahren auf ihre grosse Reise  von Ushuaia nach Alaska (und vielleicht noch weiter) gespart und geplant haben. Die beiden haben nicht nur Jobs und Wohnung aufgegeben, sondern auch gerade rigoros alle ihre Habseligkeiten wie Kleider etc. verkauft. Ihren tollen Blog betreiben sie fast professionell und man kann ihnen dort ein Bier spenden – und die Spenden sind ziemlich zahlreich wie sie und versichern. Die beiden sind spannende und inspirierende Reisegspändli und Gesprächspartner. Ellen war als Coach in Change Management tätig hat eine wahnsinnig positive Einstellung. Pim ist Amnästesist und war früher professionell im Lanzarett der Bergtruppe der holländischen Armee tätig (ja- die holländische Armee verfügt bizarrerweise tatsächlich über eine Bergtruppe!) und auf verschiedenen Kriegsschauplätzen, wie Afghanistan, stationiert. In Cochran geniessen wir zusammen einen Ruhetag in einer gemütlichen Cabana, die wir zusammen mieteten. Hier findet ihr ihren Bericht und schöne Fotos über die gemeinsam verbrachten Tagen (in Holländisch).

Unterwegs mit Pim und Ellen

Nach Cochrane fuhren wir zunächst separat weiter, da wir unterschiedliche Reiserythmen hatten, trafen uns aber schon sehr bald wieder… Als Josep und ich nämlich gerade den höchsten von drei äusserst steilen Pässen überwunden hatten (mit über 600 Höhenmetern auf 20 Kilometern), trafen wir plötzlich auf eine grössere Menschenmenge am Strassenrand. Ein deutscher Radtourist war schwer gestürzt und mit dem Kopf auf ein Stein gestossen, so dass sein Gesicht voller Blut und sogar der Helm gebrochen war. Wir helfen insbesondere für die Übersetzung und Organisation. Der Patient ist zwar bei Bewusstsein, kann sich aber an nichts erinnern und fragt immer wieder verwirrt: „Wo bin ich denn hier eigentlich?“. Josep lässt sich mit einem Pickup chauffieren, um Pim zu suchen mit seiner medizinischen Erfahrung. Im ersten Check scheint alles so weit in Ordnung zu sein und es bleibt nur noch auf die Ambulanz zu warten, geduldig mit dem Patienten, Jürgen, zu sprechen und einige lästige „Gaffer“ fernzuhalten. Nach fast einer Stunde trifft endlich die Ambulanz ein und Pim und ich fahren mit. Mehr und mehr kommen Jürgen die Erinnerungen zurück und die medizinischen Abklärungen sind positiv, ausser Hirnerschütterung und einem Schock, ging es ihm schon am Abend wieder viel besser. Mittlerweile haben am Unfallort die Carabineros (die Polizisten) alle Fahrzeuge angehalten, bis sie einen Bus gefunden hatten, der Ellen und Josep mitsamt den vier Velos mitnehmen konnten. So fanden wir uns am Abend zusammen wieder zurück in Cochrane. Nach einem Bier und spätem Mittagessen verabschieden wir uns erneut, Josep und ich wollen noch etwas weiter fahren und wild zelten. Schon spät kommen wir zu einem Wasserkraftwerk mit offener Pforte, bei dem sich herrlich direkt am Fluss zelten liess. Am nächsten Morgen erscheint jedoch ein Auto, hält aber nicht wie erwartet an. Später jedoch fanden wir uns mit einer geschlossener Pforte wieder und mussten in einer schweisstreibenden Aktion gleich zwei Stacheldrahtzäune mit Gepäck und Velos überwinden, um wieder aus diesem „Gefängnis“ rauszukommen…

Blumenwiese
Blick auf den Cerro Castillo
Zusammenfluss Rio Neff und Rio Baker
Irgendwo vor Chaitén

Landschaftlich finden wir entlang der Carretera Austral mit seiner üppigen Vegetation, den vielen Wäldern, Flüssen und Seen einen veritablen Kontrast zur Pampa. Die Strasse ist rundum mit wohin man schaut mit Bergen und Gletschern umgeben und ganz im Süden finden wir die Gipfel am Morgen ab und zu noch gezuckert mit Schnee. Die wunderschöne Landschaft und Abgeschiedenheit und vergleichsweise wenig Verkehr machen die Strasse zu einem richtigen Paradies für Fahrradfahrer und entsprechend viele treffen wir entlang des Weges an. Der grösste Teil davon sind junge Chilenen, die die Strasse während ihren Sommerferien befahren. Unter anderen treffen wir Jasmin und Nico einige Male wieder. In einem Hostal in Coyhaique treffen wir einen neuseeländischen Schafzüchter und passionierten Reiseradler und philosophieren mit ihm über die Nachhaltigkeit der Fleischproduktion. Ich habe mich dabei richtiggehend in meinem Element gefühlt. Ansonsten wird mein ehemaliger Job meist nicht verstanden oder höchstens mit einem etwas missbilligenden Stirnrunzeln bedacht durch einige der deutschen Reisegefährten, die fast alle Vegetarier sind. Joseps Arbeit stösst da meist auf viel mehr Interesse: bei der Eisenbahn! Ganz besonders gefreut haben wir uns, Matteo zu kreuzen, mit dem wir bereits in Kanada ca. zehn Tage lang gefahren sind. Er war im September von Vancouver nach Quito geflogen und seitdem Richtung Süden unterwegs. Wir fahren zusammen zu einem an einem See gelegenen Resort und trinken zur Feier des Tages ein paar Biere und tauschen unsere Erlebnisse ausgiebig aus. Mittlerweile beginnt es zu regnen und die nette Chefin des Resorts erlaubt uns, auf dem Gebiet des teilweise verlassenen Resorts zu übernachten. So richten wir uns ein unter dem Dach des Jacuzzi – ein perfekter Platz um im Trockenen zu kochen und zu schlafen!

Wiedersehen mit unserem Freund Matteo

Richtung Norden wurde die Landschaft noch einmal grüner und der Wald wandelte sich in eine Art Regenwald mit üppigen Farnen und grossblättrigen Pflanzen. Wir durchqueren unter anderem den Parque Pumalin, der von Douglas Tompkin, dem Gründer der Kleidermarken The North Face und Esprit etabliert wurde. Er hat die Flächen von 290’000 Hektaren erworben, um in einem Naturschutzprojekt den sogenannten gemässigten Regenwald zu schützen. Unter anderem klettern wir im Park auf den Vulkan Chaitén, der 2008 mit seinem Ausbruch weltweit für Aufsehen gesorgt hatte.

Märchenwald
Im Parque Pumalin: Aussicht vom Vulkan Chaitén
Der im Jahr 2008 ausgebrochene Vulkan Chaitén

Innerhalb weniger Tage gelangen wir mittels einigem „Ferry-Hopping“ nach Puerto Montt, dem Ende der Carretera Austral.

Fjorde
Bunte Bienenstöcke wie diese sind überall zu sichten im Norden der Carretera
Eine der zahlreichen Lachs-Zuchten vor der Küste von Puerto Montt

2 Comments on “Patagonien II – La Carretera Austral

  1. Hi you two,

    Thanks for these way to kind words about us in your amazing blog. We hope to see you anytime soon on the road or somewhere in between;-)

    It was a great time, thx.

    xxx Pim and Ellen

  2. Hallo Liebe Christina und Lieber Josep
    Danke für den spannenden Bericht, es war wiedermal meine Frühstückslektüre für die letzten zwei Tage😉
    Gute Weiterreise!
    Ganz liebs Grüessli
    Cornelia

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